Zwischenruf Nr. 6

--- 23. März 2022 ---

Wenn nicht jetzt, wann dann? Nach dem Vorbild der Feuerwehr startet im Ruhrgebiet eine Cyberwehr mit Profis und Freiwilligen, die bei Hackerangriffen möglichst viele Daten retten wollen.

Ich erinnere mich gerne an meine Jugendzeit beim Deutschen Roten Kreuz zurück. Für zehn Jahre hatte ich mich beim Katastrophenschutz verpflichtet, um mir den damals noch obligatorischen Wehrdienst oder Zivildienst zu ersparen. Die letzten fünf Jahre - von 1979 bis 1984 - waren besonders spannend. Mein Einsatzort war der ärztliche Notdienst in Hattingen an der Ruhr. Zwei Mal pro Monat übernahm ich die Nachtschicht - meistens von Samstagabend 20 Uhr bis Sonntagmorgen 8 Uhr. Ging ein Notruf ein, war ich derjenige, der die Ärzte mit Blaulicht schnellstmöglich zum Einsatzort brachte.

Bei diesen Einsätzen habe ich hautnah erlebt: Notdienste sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Sie fangen uns auf und retten sogar Leben, wenn etwas Katastrophales passiert. Bei einem Diebstahl rufen wir die Polizei. Wenn es brennt die Feuerwehr. Bei einem Herzinfarkt oder Schlaganfall rückt ein Notarzt aus. Sogar für hochwertige Produkte haben wir einen Notfall-Service erschaffen: Wenn das Auto mit einer Panne oder anderen technischen Problemen liegen bleibt, reicht ein Anruf beim „gelben Engel“ vom ADAC. Selbst für den Fall, dass ein Schiff SOS funkt, haben wir vorgesorgt. Die Seenotretter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) fahren bei heftigen Stürmen raus, um uns vor dem Ertrinken zu retten.

Seit Jahren wundere ich mich, dass es in der Digitalwelt keine einheitliche Notrufnummer und auch keinen Rettungsdienst gibt, der uns aus gefährlichen Lagen befreit. Etwas naiv klammern wir uns an die Hoffnung, dass unsere Aufklärungskampagnen für mehr Sicherheit in den IT-Systemen sorgen. Doch alle Statistiken offenbaren, dass die seit langem herbeigesehnte Trendwende überhaupt noch nicht in Sicht ist. Im Gegenteil: Die Zahl der erfolgreichen Cyberangriffe wächst Jahr für Jahr. Neun von zehn Unternehmen, das zeigt eine aktuelle Umfrage des IT-Dachverbandes Bitkom, sind bereits Opfer eines oder mehrere Cyberangriffe geworden. Auch die Schäden haben sich innerhalb weniger Jahre verdoppelt. Die Angst vor Hackerattacken ist in der Wirtschaft inzwischen so allgegenwärtig, dass sie die bisherigen Spitzenreiter im Risikobarometer wie Betriebsunterbrechungen oder Naturkatastrophen locker übertreffen, wie kürzlich der Industrieversicherer Allianz Global Corporate & Specialty (AGCS) bekannt gab. Die angespannte Weltlage seit Russlands Überfall auf die Ukraine gibt Anlass zur Sorge, dass auch im Cyberraum die Zahl der Attacken weiter steigt.

Dramatisch ist die Bedrohungslage bei kleinen und mittleren Betrieben, die besonders schlecht auf Hacker- und Cyberangriffe vorbereitet sind. Einige Inhaber bremsen bei Digitalisierungsprojekten und vertagen Investitionen. Sie fürchten, dass ihnen die Kontrolle über diese Technologie entgleitet und die damit verbundenen Risiken nicht mehr zu kalkulieren sind.

Diese Ängste wollen wir – die Mitglieder des in Bochum ansässigen gemeinnützigen Vereins Eurobits e.V. – mit einem neuen Rettungsdienst zerstreuen. Anderthalb Jahre haben wir an den Konzepten gefeilt und alle organisatorischen Vorbereitungen getroffen, damit am 23. März die erste Cyberwehr in einem Ballungszentrum wie Nordrhein-Westfalen an den Start gehen kann. Unser Testgebiet erstreckt sich in der Aufbauphase Eins auf die drei großen Ruhrgebietsstädte Essen, Bochum und Gelsenkirchen. Dort können kleine und mittlere Unternehmen, die sich in der Regel keine teuren IT-Spezialisten leisten können, unter der neuen Notrufnummer 0800-1191112 die Cyberwehr kostenlos zu Hilfe rufen. Wir greifen dabei auch auf Erfahrungen aus Karlsruhe zurück. Dort war vor drei Jahren die erste Cyberwehr gestartet.

Wir sind stolz, dass wir mit finanzieller Unterstützung der EU und des Landes NRW diesen Bereitschaftsdienst aufbauen können. In der Startphase konzentrieren wir uns auf die Geschäftszeiten werktags von 8.00 bis 18.00 Uhr, unser Ziel ist aber eine Erreichbarkeit rund um die Uhr. Geht ein Alarm ein, rücken ortsansässige IT-Dienstleister als offizielle Partner der Cyberwehr so schnell wie möglich aus und leiten kostenlos die ersten Sofortmaßnahmen zur Rettung der Daten ein. Im nächsten Jahr – Phase Zwei – soll die Cyberwehr ihre Einsätze auf weitere Städte im Ruhrgebiet ausdehnen. In Phase Drei sollen dann schrittweise weitere Städte und Kreise im Bundesland NRW folgen.

Das Pilotprojekt wird für alle Beteiligten ein Abenteuer. Die kleinen Prozesse so aufeinander abzustimmen, dass nach einem Alarm alle Rädchen wie geschmiert ineinander greifen und die Opfer so schnell wie möglich Hilfe bekommen, ist eine der Aufgaben, die wir in den kommenden Wochen perfektionieren werden. Alle großen Notfall-Organisationen haben mal klein angefangen und sind heute unverzichtbarer Teil unseres gesellschaftlichen Lebens. Ihr Siegeszug begann immer dann, wenn professionelle Spezialisten und freiwillige Helfer mit großzügigen Spendern und staatlichen Geldgebern sehr eng und vertrauensvoll zusammenarbeiteten. Dieses Erfolgsmodell wollen wir auf die Cyberwelt übertragen.

 

„Der Glaube an das Gute der Digitalisierung geht verloren, wenn wir durch zu viele Sicherheitsrisiken die Kontrolle über diese Technologie verlieren.“

Über mich

Was mich bewegt

Digitalisierung, datenschutz, IT-Sicherheit

Die Diskussionen über die Digitalwelt in Europa sind gespickt mit Halbwissen und Widersprüchen. Weite Teile von Politik und Wirtschaft erkennen zwar, dass die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes von einer möglichst schnellen Digitalisierung abhängt. Nur getan haben die Verantwortlichen dafür viel zu wenig. Die meisten schauen zu, wie die digitalen Supermächte USA und China ihren Vorsprung ausbauen. Und klammern sich dabei an ein Gottvertrauen in alles Gute dieser technologischen Revolution. Die vielen Sicherheitsrisiken aber werden ignoriert und ausgeblendet — weit mehr als in jedem anderen gesellschaftlichen Bereich.

Über das Ergebnis ärgern wir uns jeden Tag: Ein eher stümperhaft zusammengestückeltes Internet, das — wäre es ein Auto oder ein Wohnhaus — wegen gravierender Mängel überhaupt keine Zulassung der Aufsichtsbehörden bekommen würde. Dabei braucht die jetzt entstehende Gigabit-Gesellschaft ein stabiles Fundament aus hochwertigen Netzen, Software und Hardware ohne Qualitätsmängel und Schwachstellen. Nur verlaufen bisher die meisten Initiativen im Sande. Die politisch Verantwortlichen vertrauen lieber der Selbsthilfe und wälzen die Lösung des Problems auf eher schlecht ausgebildete Computernutzer ab.

Dass diese Strategie nicht die erhofften Erfolge bringt, beweisen die Zahlen: Jedes Jahr wachsen die Bedrohung und die Schäden durch von Geheimdiensten gesteuerte Hacker-Banden, die unsere IT-Systeme lahmlegen und ausspionieren. Mehr noch: Sogar IT-Konzerne schrecken nicht davor zurück, unsere Privatsphäre zu verletzen. Als eines von 60 Opfern der Spitzelaffäre bei der Deutschen Telekom habe ich es selbst erlebt und Lehren daraus gezogen: Ich will weiter über das Thema Cybersecurity aufklären und in Zukunft Spannendes und Erhellendes auf dieser Website berichten. Deswegen publiziere ich hier auch unter meinem Spitznamen CyberBerke, der mir aufgrund meiner umfangreichen journalistischen Arbeit zu diesen Themen schon vor einigen Jahren zugeschrieben wurde.

Wer ich bin

Journalist, Volkswirt, Boulespieler

Mein Name ist Jürgen Berke. Ich bin 65 Jahre alt und schreibe seit mehr als 30 Jahren für die WirtschaftsWoche über alle Themen rund um Digitalisierung. Inzwischen gleite ich in den Ruhestand und schaffe mir mit dieser Web-Seite meine eigene Plattform, auf der ich Ergebnisse meiner Recherchen und meine Einschätzungen zu aktuellen Entwicklungen publizieren werde. Als Volkswirt sozialwissenschaftlicher Richtung schaue ich mir gerne die technologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen einer zunehmenden Vernetzung aller Lebensbereiche an.

Privat geht es bei mir noch sehr analog zu. Ich radele meist abseits viel befahrener Straßen ohne Elektromotor durchs Land und freue mich über jede alte Bahntrasse, die zu einem Radschnellweg umgebaut wird. Viel Zeit verbringe ich auf den Boule-Plätzen in Köln und Umgebung. Der französische Nationalsport ist meine zweite große Leidenschaft.

 

Kurzvita

Geboren 1958 in Bochum. Journalistische Ausbildung ab 1979 an der Kölner Schule — Institut für Publizistik. Parallel — ab 1980 — Studium der Volkswirtschaftslehre und Soziologie an der Universität in Köln. Abschluss als Diplom-Volkswirt sozialwissenschaftlicher Richtung. Danach 32 Jahre lang Redakteur für die „WirtschaftsWoche“. Seit 2020 ehrenamtlich tätig im Europäischen Kompetenzzentrum für Sicherheit in der Informationstechnologie (Eurobits e.V.) in Bochum.

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„Wäre das Internet ein Auto oder Wohnhaus, dann würde es wegen gravierender Mängel keine Zulassung der Aufsichtsbehörden bekommen.“