2009: Titelstory in der WirtschaftsWoche 25/2009 vom 15.6.2009 über die „Geheimakte Telekom“, die erstmals eine Rekonstruktion der „Spitzelaffäre“ und die Verantwortung der Konzernspitze erlaubt.

Tagebuch einer Aufklärung

René Obermann, der Chef der Deutschen Telekom, profiliert sich als Aufräumer in der Spitzelaffäre. Tatsächlich wusste die Konzernspitze aber viel früher viel mehr, als sie bisher zugegeben hat. Das legen Dokumente und ein streng vertraulicher Prüfbericht nahe, der erstmals die Rekonstruktion der Ereignisse seit Obermanns Antritt erlaubt.

Das also ist Phylax, der streng geheime Spitzelbericht der Deutschen Telekom: 516 eng bedruckte Seiten mit weit mehr als 100 internen Dokumenten, schick in Leinen gebunden. Jeder Empfänger wurde durch einen Aufsichtsratsbeschluss dazu verdonnert, sein Exemplar nicht aus der Hand zu geben - weder Seiten noch das gesamte Werk. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass jeder Bericht versteckte Hinweise auf den Eigentümer enthält: unscheinbare Markierungen, verdrehte Zahlen, falsche Interpunktion - wer weiß, was alles noch.

Phylax ist das altgriechische Wort für Schutz, das sich die Kölner Kanzlei Oppenhoff & Partner für ihren Bericht an den Vorstand und den Aufsichtsrat der Deutschen Telekom einfallen ließ. Doch die Drohungen an die Adresse der 30 Empfänger schreckten den WirtschaftsWoche-Informanten nicht. Er will mithelfen, das gesamte Ausmaß der Spitzelaffäre bekannt zu machen - und dass alle Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Denn immer noch werden die Opfer großenteils im Unklaren darüber gelassen, was wirklich geschah, beteuern die Hauptverantwortlichen unablässig, nicht geahnt zu haben, wie viele illegalen Aktivitäten sie mit ihren Anordnungen losgetreten hätten.

Unstrittig ist - das zeigt die Auswertung des gesamten Oppenhoff-Berichts - zumindest eines: Im Telekom-Konzern gab es, angeführt von Klaus Trzeschan, dem Leiter der für Sonderermittlungen zuständigen Abteilung KS 3, eine verschworene Truppe, für die der Zweck offensichtlich jedes Mittel heiligte. In einer Art Kadavergehorsam reichte offenbar ein Wink des damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden Klaus Zumwinkel und/oder des damaligen Vorstandsvorsitzenden Kai-Uwe Ricke aus, um die Spitzelmaschinerie anzuwerfen. Verbindungsdaten von mindestens 60 Aufsichtsräten, Betriebsräten und Journalisten wurden ausgewertet, Bewegungsprofile erstellt und Bankkonten eingesehen. Die Wahl der Mittel wurde offensichtlich Trzeschan überlassen, der bei seinen Recherchen den Ermittlungsdienstleister Network Deutschland einschaltete und dafür mindestens 400 000 Euro zahlte.

Noch aufschlussreicher sind die "streng vertraulichen" Anlagen zum Abschlussbericht mit den vielen unveröffentlichten Dokumenten, die tiefe Einblicke in die interne Aufarbeitung der Spitzelaffäre gewähren.

Hat Telekom-Chef René Obermann nach seinem Wechsel an die Konzernspitze im November 2006 wirklich alles getan, um die Spitzelaffäre lückenlos aufzuklären? Wer erfuhr wann von den skandalösen Vorgängen? Und wurden alle Verantwortlichen in der Sicherheitsabteilung zur Rechenschaft gezogen?

Der WirtschaftsWoche ist es gelungen, anhand der Aussagen von Betroffenen und aus Original-Dokumenten die vermeintliche Aufarbeitung der Spitzelaffäre unter Obermann zu rekonstruieren. Herausgekommen ist das Tagebuch einer Aufarbeitung, die durch Opportunismus und Halbherzigkeit auf halbem Weg stehen blieb. Die Hauptakteure: Ex-Aufsichtsratschef Zumwinkel, Ex-Konzernchef Ricke, der neue Vorstandschef Obermann und der später zum Rechtsvorstand beförderte Chefsyndikus Manfred Balz.

1. Kapitel: Das große Versprechen. René Obermann löst am 13. November 2006 Kai-Uwe Ricke als Vorstandsvorsitzender der Deutschen Telekom ab und übernimmt die Zuständigkeit für die Konzernsicherheit. Mehrmals erklärte der Vorstandschef nach Bekanntwerden der Spitzelvorwürfe im Mai 2008, dass "eine lückenlose Aufklärung stattfindet" und er das gesamte Ausmaß erst wenige Wochen zuvor im April 2008 erfahren habe.

Ende November 2006: Wenige Tage nach Amtsantritt wird Obermann in die Praktiken der Konzernsicherheit der Telekom eingeweiht. In einer E-Mail legt Harald Steininger, der Leiter des Bereichs Konzernsicherheit, Obermann ein Konzept für die Ermittlungen von Indiskretionen durch Mitarbeiter vor. Steininger schlägt Obermann unter anderem folgende Maßnahmen vor: "Erstellen von Profilen" sowie das "Erkennen von Beziehungsgeflechten" und nennt als Ziel, "vom Getriebenen zum Treiber" zu werden, damit man "agieren statt reagieren" könne. Wie Obermann darauf reagierte, lässt der Bericht offen.

23. November 2006 Die von der Telekom beauftragte Berliner Firma Network Deutschland stellt dem Konzern für ein Projekt mit dem Kodenamen "Clipper" 309 000 Euro in Rechnung. "Clipper" steht für die groß angelegte Auswertung der Verbindungsdaten von bis dato über 60 Aufsichtsräten, Betriebsräten und Journalisten. Der Auftrag war schon Ende 2005 vergeben worden.

6. Dezember 2006 Klaus Trzeschan, der Leiter der mit den Sonderermittlungen beauftragten Abteilung KS 3 der Konzernsicherheit, bestätigt die Zusammenarbeit mit Network Deutschland in einem Vermerk: "Der Vorstandsvorsitzende Kai-Uwe Ricke hatte in 2005 das Corporate Office und die Konzernsicherheit mit der Durchführung eines Projektes beauftragt, in dem prozessorientierte Lösungsansätze im Umgang mit hochsensiblen Informationen untersucht werden sollten. Dieses Projekt wurde unter dem Arbeitstitel ,Clipper‘ fachlich von der Konzernsicherheit gesteuert." Dabei erweckt Trzeschan den Eindruck, als stehe nun eine Zäsur bevor: "Durch die Vorstandsumbildung soll dieses Projekt nicht mehr fortgeführt werden. Die in diesem Zusammenhang entstandenen Aufwendungen in Höhe von 309 000 Euro zuzüglich Umsatzsteuer sind mit Rechnung vom 23. November 2006 durch Network geltend gemacht worden. Der Beitrag ist richtig berechnet, angemessen und fällig. Das Corporate Office wird gebeten, die beiliegende Rechnung zu begleichen."

Trzeschan ist die Schlüsselfigur in der Spitzelaffäre. Der Beamte ist ein altgedienter Telekom-Kämpe, der bereits seit über einem Jahrzehnt vermeintlichen Hackern, Journalisten und anderen nachspürt, die der Telekom lästig sind. Völlig abseits der üblichen Hierarchien konnte Trzeschan schon Millionen verausgaben.

7. Dezember 2006 Ein Tag, nachdem Trzeschan den Eindruck erweckt, als wäre "Clipper" Vergangenheit, findet ein Gespräch zwischen Trzeschan und Ralph Kühn, dem Geschäftsführer von Network Deutschland, über die geplante Weiterführung und Ausdehnung des Projekts "Clipper" statt: Neben der Auswertung von Verbindungsdaten von Arbeitnehmervertretern im Aufsichtsrat und Journalisten sollen jetzt auch wichtigste Entscheidungsträger der Bundesnetzagentur und der Chef der US-Anteilseignerin Blackstone, Stephen Schwarzman, einbezogen werden.

14. Dezember 2006 Auf Basis des Vermerks von Trzeschan vom 6. Dezember weist Markus. L. vom Corporate Office, dem Büro des Aufsichtsratsvorsitzenden und des Vorstandsvorsitzenden, für "Clipper" nach eigener Aussage die Zahlung von 309 000 Euro ohne weitere Prüfung und ohne entsprechende Anweisung durch Vorstände oder Aufsichtsräte an. Die zweite notwendige Unterschrift für die Zahlungsanweisung unter der Feststellung "sachlich und rechnerisch festgestellt" erfolgt am gleichen Tag auf Anweisung von Herrn L. durch seine Mitarbeiterin. Die Aktion markiert nicht den Schlusspunkt, sondern die Fortsetzung der Zusammenarbeit der Telekom mit Network.

4. Januar 2007 Die Deutsche Telekom schickt Network Deutschland einen neuen, großzügigen Rahmenvertrag, der am 13. März 2007 von beiden Seiten unterschrieben wird. Geschäftsführer von Network bekommen für ihre Ermittlungsdienste 1600 Euro, Fachkräfte 1200 Euro pro Tag.

2. Kapital: Das wahre Ausmaß der Spitzelaffäre und wie Obermann das heikle Thema an seinen Aufsichtsratschef Klaus Zumwinkel heranträgt.

13. August 2007 Uwe Schönborn, Leiter der Unternehmenssicherheit bei T-Mobile Deutschland, informiert Obermann, dass die Konzernsicherheit Verbindungsdaten von Telefonaten auswertete und damit möglicherweise gegen das Fernmeldegeheimnis verstieß.

14. August 2007 Obermann beauftragt seinen Chefjustiziar Balz mit unverzüglicher Aufklärung. Ex-Telekom-Chef Ricke und Ex-Vorstandsmitglied Heinz Klinkhammer (Personal) werden befragt.

26. August 2007 Balz informiert Konzernchef Obermann über die Aussage von Konzernsicherheitschef Steininger, dass Verbindungsdaten von T-Mobile regelmäßig widerrechtlich mit Wettbewerbern ausgetauscht würden. Obermann begreift offenbar die ungeheure Tragweite des Vorgangs, nämlich dass die Deutsche Telekom damit eventuell gegen das Fernmeldegeheimnis verstoßen hat. Doch was tun, Aufsichtsrat Zumwinkel damit konfrontieren? In einer Mail schreibt Obermann, er wolle "lieber mündlich in Kontakt treten, um Herrn Zumwinkel nicht zu verärgern", wie es im Prüfbericht heißt.

30. August 2007 Obermann spricht mit Zumwinkel und orientiert sich dabei an einem Sprechzettel, den Chefsyndikus Balz für ihn ausgearbeitet hat. Demzufolge sagt Obermann zu Zumwinkel: "Wie ich inzwischen herausgefunden habe, wurden die Ermittlungen ... mit rechtlich bedenklichen Mitteln, unter anderem auch mit der Speicherung und Auswertung von Verbindungsdaten des Herrn W. und des betroffenen Journalisten geführt." Es handele sich dabei "mutmaßlich" um einen "Verstoß gegen ein Strafgesetz durch die handelnden Personen, wobei mit dem Post- und Fernmeldegeheimnis ein für unser Haus, sein Geschäft und seine Zuverlässigkeit zentral bedeutsames Rechtsgut und Grundrecht verletzt wurde." Obermann weiß um den drohenden Imageschaden. "Die Sachverhalte könnten uns auch in der Öffentlichkeit schwer beeinträchtigen. Der Kreis der Mitwisser ist inzwischen bereits recht groß. Mit einer Information der Öffentlichkeit muss daher jederzeit gerechnet werden", heißt es auf seinem Sprechzettel. Offenbar ist sich Obermann auchbewusst, wie gefährlich die Angelegenheit für ihn und die Deutsche Telekom werden könnte. "Mir ist deswegen daran gelegen, rasch alles Erforderliche zu tun und zu dokumentieren, damit sich solche Ermittlungshandlungen nicht wiederholen können", erklärt er laut Sprechzettel. Und er signalisiert offenbar Zumwinkel, dass nun dieser am Zug sei: "Herr Trzeschan hat sich bei seiner Anhörung durch unsere Rechtsabteilung dahin geäußert, dass er allenfalls eine Aussage machen könne, wenn er von Ihnen als seinem persönlichen Auftraggeber von der Pflicht zur Vertraulichkeit entbunden werde. Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie gegenüber Herrn Trzeschan über mich oder auf einem anderen Wege eine solche Entbindungserklärung bald abgeben würden."

4. September 2007: Um 17.18 Uhr mailt Obermann an Chefsyndikus Balz und Finanzvorstand Karl-Gerhard Eick: "Habe mit Herrn Dr. Zumwinkel gesprochen anhand des Briefings (und den Vorstand gemäß Briefing informiert). Dr. Z. bat um kurzfristige Rückäußerung unsererseits, ob eine von ihm zu beauftragende externe Anwaltskanzlei die Fakten und den Hergang zusätzlich ermitteln und uns anschließend Handlungsempfehlungen geben sollte. Ihm erschien das sinnvoll. Habe ihm für morgen Rückmeldung zugesagt nach vorheriger Beratung mit Balz, jedoch Eure/Ihre bisherige Meinung wiedergegeben, dass es ausreichend sei, wenn wir den Vorgang intern sorgfältig aufklären und entsprechende Maßnahmen treffen, damit es sich nicht wiederholt. Bitte also um Empfehlung, wie ich auf den Vorschlag von Dr. Z reagieren soll."

5. September 2007 Was Obermann gegenüber Zumwinkel noch als "mutmaßlichen" Gesetzesverstoß oder "rechtlich bedenkliche Mittel" bezeichnete, erweist sich endgültig als mögliche Straftat. In einem vertraulichen Bericht mit dem Betreff "Sachstand Ermittlungen zu Phylax" schreibt Balz: "Dass im fraglichen Zusammenhang jedenfalls die Mobilfunkverbindungsdaten einer Vielzahl von Einzelpersonen unter strafbarem Verstoß gegen das Post- und Fernmeldegeheimnis (Paragraf 206 Strafgesetzbuch) als Erkenntnisquellen herangezogen wurden, ist durch Beweismittel, welche extrem vertraulich sichergestellt sind, objektiv belegt." Weiter schreibt Balz in einer E-Mail an den damaligen Finanzchef Eick: "RO (gemeint ist Obermann; die Red.) will nun den Vermerk VAR (gemeint ist Zumwinkel; die Red.) morgen übergeben."

5. September 2007: Obermanns Bemühen, reinen Tisch zu machen, tritt in die entscheidende Phase: In einer E-Mail mit der Betreffzeile "Höchstpersönlich, streng vertraulich" schreibt Chefsyndikus Balz an eine Mitarbeiterin mit Kopie unter anderem an Obermann und Eick, in der Anlage den vertraulichen Sachstandsbericht: "In Absprache mit RO (René Obermann; die Red.) bitte ich Sie, anliegenden Vermerk Herrn Dr. Zumwinkel noch persönlich zukommen zu lassen. Bitte setzen Sie eine vertrauenswürdige Person als Überbringer ein und vermerken Sie auf einem versiegelten - etwa auf dem Klebefalz mit Tesafilm verklebten - lichtfesten Umschlag: Herrn Dr. Zumwinkel - vertraulich und höchstpersönlich - in die Hand!"

3. Kapitel: Die Vertuschung - oder wie Obermann versucht, die Mitwisser zum Schweigen zu bringen.

7./19. September 2007 Obermann und sein Personalvorstand Thomas Sattelberger verhandeln mit Sicherheitschef Harald Steiniger über einen Aufhebungsvertrag. Steininger ist zur Übernahme der "politischen Verantwortung" und zur Auflösung seines Angestelltenverhältnisses unter der Voraussetzung bereit, dass seine Existenz gesichert ist und eine weitere Diffamierung seiner Person unterbleibt.

25. September 2007 Bei den Gesprächen mit Trzeschan stößt Obermann offenbar auf Widerstand. Ein für die Versorgung der Beamten zuständiger Personalmanager, notiert über Trzeschan: "Er (T) hat sofort zu Beginn seinen Unmut und seine Verärgerung über das gegen ihn eingeleitete Disziplinarverfahren zum Ausdruck gebracht. Er hat deutlich gemacht, dass er hier das Bauernopfer sein werde. Er sei sich auch der Tatsache bewusst, dass er mit seinem Verhalten ein Dienstvergehen begangen haben könnte, und sei auch bereit die Konsequenzen daraus zu tragen. Er sei jedoch nicht bereit, für etwas ,bezahlen zu müssen‘, was ihm nicht angelastet werden könne." Der Personalmanager empfiehlt: "Wir sollten in dieser Angelegenheit den Ball möglichst flach halten, so wie sich die Sache darstellt, ist sie zwar nicht zu tolerieren, andererseits könnte daraus ein Großbrand werden, weil an der Entschlossenheit von Trzeschan, sich mit allen Mitteln zu wehren, für mich keine Zweifel bestehen."

9./11. Oktober 2007 Sicherheitschef Steininger erhält die außerordentliche Kündigung, die die Telekom später wegen fehlender Erfolgsaussichten zurücknimmt. In einem Aufhebungsvertrag verständigen sich beide Seiten auf "Gesamtleistungen im Wert von 750 000 Euro" zuzüglich Dienstwagen. Dabei sind zumindest einige Teile der Gesamtleistungen - so der Bericht - "unüblich".

6. Dezember 2007 Balz lehnt in einer E-Mail an die Vorstände Sattelberger und Eick sowie Axel Wehmeier (Obermanns Büroleiter) ab, das Verfahren gegen Trzeschan ohne Sanktionen einzustellen. Er erklärt, dass die "Staatsanwaltschaft nur deshalb nicht eingeschaltet wurde, weil eine angemessene Ahndung bei Schonung des Interesses an Vermeidung der Öffentlichkeit hinreichend wahrscheinlich erschien". Er bitte, heißt es in einer anderen Mail, um fortgesetzte Unterrichtung, weil eine zeitnahe Einschaltung der Staatsanwaltschaft aus Gründen der Reputation wichtig sei, wenn eine Benachrichtigung der Öffentlichkeit unvermeidbar werde.

5. Februar 2008 Das Disziplinarverfahren gegen Trzeschan endet mit einem förmlichen Verweis, eine nach Ansicht der Prüfer "sehr großzügige" Verfahrensweise.

27. Februar 2008 Zumwinkel legt den Posten als Aufsichtsratsvorsitzender nieder und scheidet aus dem Aufsichtsrat aus.

28. April 2008 Obermanns Hoffnung, mit der Strategie die neue Telekom-Spitze aus der Schusslinie zu bringen, erhält einen Dämpfer. In einem Brief an Balz prophezeit Network-Deutschland-Chef Kühn: "Der Versuch von Ihnen, den ganzen Vorgang in die Ricke-Ära zu schieben, ist rührend, aber leider völlig verfehlt, da wir nachweislich auch nach November 2006 noch im Projekt ,Clipper‘ tätig waren. Das Projekt ,Clipper‘, das Vorläuferprojekt "Rheingold" sowie einige weitere Nebenprojekte wurden direkt vom Vorstand (in enger Abstimmung mit dem damaligen Aufsichtsratsvorsitzenden) beauftragt und bezahlt."

14. Mai 2008 Auch die Strategie, die Spitzelaffäre vor der Öffentlichkeit geheim zu halten, scheitert: Der Deutschen Telekom bleibt nur noch, Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft zu erstatten - kurz bevor die Affäre durch einen "Spiegel"-Bericht publik wird.

Co-Autor: Hans-Peter Canibol

Zusätzliche Story über eine Rasterfahndung nach einem WirtschaftsWoche-Bericht von Jürgen Berke:
Überschrift: Codename "Kombinat"
Vorspann: Ein WirtschaftsWoche-Bericht über Umzugspläne der Festnetzsparte animierte Verantwortliche der Deutschen Telekom zu einer Rasterfahndung gegen 68 konzerneigene Manager.

So aufgebracht hatten die Mitarbeiter in der Bonner Telekom-Zentrale ihren Festnetz-Vorstand Walter Raizner noch nie erlebt. Wutschnaubend, berichten Insider, rannte der damalige T-Com-Chef am 2. Juni 2005 durch die Flure und wollte wissen, wer die Umzugspläne verraten habe. Die WirtschaftsWoche hatte exklusiv berichtet, dass Raizner Bonn als Sitz der Festnetzsparte infrage stelle und einen Umzug nach München oder in eine andere Großstadt plane. Mehrere Hundert Führungskräfte hätten die ehemalige Bundeshauptstadt verlassen müssen.

Für Raizner war die frühzeitige Veröffentlichung ein Fiasko. Der damalige Konzernchef Kai-Uwe Ricke, der schon Zustimmung signalisiert hatte, rückte von den weit gediehenen Umzugsplänen ab. Die Zentrale der Festnetzsparte blieb in Bonn.

Was im Anschluss an die Veröffentlichung bei der Telekom passierte, blieb auch der Anwaltskanzlei Oppenhoff & Partner nicht verborgen. Sie fand die Machenschaften so auffällig, dass sie diese in ihren Prüfbericht zur Spitzelaffäre aufnahm, der der WirtschaftsWoche vorliegt. Demzufolge ließ Raizner seinem Wutausbruch fragwürdige Taten folgen. Denn er beauftragte, so der Prüfbericht, die Konzernrevision, bei der ganzen Deutschen Telekom nach der undichten Stelle zu fahnden. Die Prüfer sollten ganz schnell eine Liste aller an dem Umzugsprojekt (Codename "Kombinat") beteiligten Manager und Mitarbeiter erstellen und herausfinden, wer die WirtschaftsWoche-Redakteure Jürgen Berke und Kuhn, Thomas informiert hatte.

Ex-Telekom-Vorstände hatten schon damals das ungute Gefühl, dass hier eine echte Rasterfahndung stattfand und auch die Verbindungsdaten und der E-Mail-Versand der beteiligten Telekom-Manager ausgewertet wurden. Die Revision war sich jedenfalls der Dringlichkeit des Sonderauftrags bewusst und legte bereits am 20. Juni ihrem Auftraggeber Raizner einen Zwischenbericht vor. Eine Kopie ging an den Hauptverdächtigen in der Spitzelaffäre, den für Sonderermittlungen in der Konzernsicherheit zuständigen Telekom-Manager Klaus Trzeschan.

Das Ergebnis: Insgesamt hätten kurz vor Veröffentlichung in der WirtschaftsWoche 68 Mitarbeiter aus verschiedenen Bereichen und Führungsebenen vom Umzugsprojekt "Kombinat" gewusst. Der Zwischenbericht, den der Anwalt eines der WirtschaftsWoche-Redakteure einsehen konnte, listet die Namen aller herausgefilterten Telekom-Manager heraus, wann diese in die Umzugspläne eingeweiht worden waren und wer von ihnen Vertraulichkeitserklärungen unterschrieben hatte. Die Indiskretion komme aber von ganz oben aus dem Bereichsvorstand oder dem Konzernvorstand, fand die Revision heraus, weil nur die Vorstandsmitglieder alle in der WirtschaftsWoche veröffentlichten Schlüsselinformationen gekannt hätten.

Stutzig machte die Anwaltskanzlei Oppenhoff & Partner eine Anregung, die in dem Zwischenbericht ausdrücklich festgehalten ist. Um den Verräter in der Telekom zu finden, schlug die Konzernrevision nämlich "in enger Zusammenarbeit mit der Konzernsicherheit weitere systematische Analysen" vor. Dazu passt ein Vermerk, den die Anwälte fanden, demzufolge diese "Analysen" bereits unter der Verantwortung von Herrn Trzeschan "in Arbeit" seien, wie der Zwischenbericht zitiert. Die Revision schlug jedenfalls Raizner vor, weitere Recherchen in Zusammenarbeit mit der Konzernsicherheit anzustellen.

Die Telekom behauptet, dass das Projekt nach Vorlage des Zwischenberichts gestoppt worden sei. "Es gibt keinen Hinweis darauf, dass es im Rahmen der Quellensuche für die Umzugspläne von T-Com Bespitzelungen gegeben hat", heißt es in einer offiziellen Stellungnahme des Konzerns. "Der Revisionsbericht befasst sich ausschließlich mit der Ermittlung der internen Quelle. Da bereits nach kurzer Zeit feststand, dass 68 Personen von dem Thema wussten, stellte die Revision die Arbeit als nicht weiter zielführend ein."

Aus heutiger Sicht kann die Deutsche Telekom der WirschaftsWoche dankbar für die vorzeitige Veröffentlichung sein. Denn der abrupte Stopp aller Umzugspläne hat dem Magenta-Riesen auf jeden Fall viele Millionen gespart. Die jetzt bevorstehende äußerst komplizierte Fusion der Mobilfunksparte T-Mobile und der heutigen Festnetzsparte T-Home wird vor allem dadurch erleichtert, dass beide Geschäftsbereiche immer noch ihre Zentrale in Bonn haben.