2018: Titelstory in der WirtschaftsWoche 13/2018 vom 22.3.2018 über Chinas „feindliche Übernahme“ der deutschen Wirtschaft.

Die Unterwerfung

Ein Vierteljahrhundert hat die Bundesrepublik in China auf Wandel durch Handel gesetzt. Nun wird klar: Die Wette ist verloren. Stattdessen setzt China nun in Europa seine Interessen durch, spioniert, kauft Firmen auf – und drangsaliert im eigenen Land die deutschen Unternehmen.

Andreas Pinkwart mag die Expansionslust der Chinesen. Große Investitionen sind gute Nachrichten, findet der Wirtschaftsminister von Nordrhein-Westfalen (FDP) und beschmiert im Düsseldorfer Szenelokal Flurklinik zum zweiten Frühstück sein Bananenbrot. Rund 1200 chinesische Unternehmen seien inzwischen im Westen der Republik vertreten, mehr als in jedem anderen Bundesland. Nein, 'vor den chinesischen Übernahmen müssen wir wirklich keine Angst haben', sagt Pinkwart. Spionage, mangelnder Marktzugang, unklare Eigentümerstrukturen - das seien natürlich wichtige Themen. Aber er setze da auf Zeit, Geduld, gutes Zureden, Diplomatie: 'Wir empfangen die Chinesen weiterhin mit offenen Armen.'

So wie Pinkwart reden viele deutsche Politiker und Unternehmer seit Jahrzehnten: China, das riesige Land, der riesige Markt, die riesige Chance. Allerdings zeigten die Vektoren vor 20 Jahren noch rein ostwärts. Die deutsche Industrie(politik) fand in China alte Löhne und neue Absatzmärkte; sie half den kommunistischen Kadern beim Aufbau des Landes und beim Ausbau des Lebensstandards - und hoffte, nebenbei auch Rechtsstaatlichkeit exportieren zu können. Der wirtschaftlichen Verflechtung folgt Chinas Öffnung hin zu Demokratie und Marktwirtschaft - das war die Hoffnung, die naive Wette, die Deutschland damals vor allem mit sich selbst abschloss: Wandel durch Handel. Als wäre das ein Automatismus vom Range des waltenden Weltgeistes.

Heute sind große Teile der deutschen Wirtschaft abhängig von China. Daimler, BMW, Volkswagen verkauften 2017 dort 1,37 Millionen Fahrzeuge, so viele wie nirgendwo sonst, so viele wie nie und neun Prozent mehr als 2016. Viele mittelständische Energiekonzerne, Maschinenbauer und Müllunternehmer haben sich in eine Art Konkubinen-Wirtschaft zwingen lassen, in Joint Ventures mit wenig Mitspracherecht und viel Know-how-Transfer, um nur ja Zugang zum riesigen Markt zu bekommen - sie stehen nun vor den Trümmern ihrer Leichtgläubigkeit. Gleichzeitig haben die Chinesen längst angefangen, ihrerseits Unternehmen zu kaufen - und investieren in Europa wie nirgends sonst in der entwickelten Welt. In den vergangenen zehn Jahren flossen drei Prozent der chinesischen Auslandsinvestitionen in die USA. Nach Europa gingen allein in den vergangenen fünf Jahren weit mehr: 223 Milliarden Euro, rund 31 Milliarden Euro davon in die Bundesrepublik.

Die Chinesen sind vor allem an Schlüsseltechnologien und Know-how interessiert. Sie gaben fünf Milliarden Euro für den Roboterhersteller Kuka aus, investierten vier Milliarden bei der Deutschen Bank, neun beim Autobauer Daimler. Staatlich kontrollierten oder nahen Konzernen gehören, ganz oder teilweise, der Flughafen Frankfurt-Hahn, bald der deutsche Stromnetzbetreiber 50Hertz, heute schon der Hafen im griechischen Piräus oder die Bahnstrecke Belgrad-Budapest. Offenbar hält der chinesische Staatspräsident Xi Jinping die chinesische 'Entwicklungsdiktatur' für so erfolgreich, dass er ihren Modellcharakter jetzt auch grenzübergreifend erproben will. Und anders als NRW-Minister Pinkwart glaubt, liegt die Betonung dabei nicht auf Entwicklung - sondern auf Diktatur. Dagegen sind die Ausfälle von US-Präsident Donald Trump beinahe harmlos.

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde will 'Industriesupermacht' werden und hat im Rahmen der 'Made in China 2025'-Initiative zehn Schüsselindustrien identifiziert, in denen das Land zu anderen Industriestaaten aufschließen soll, darunter Fahrzeuge mit alternativen Antrieben. Im Zuge dessen führen sich die Kader gegenüber ausländischen Unternehmen im Land zunehmend hochherrschaftlich auf. Peking dreht ihnen in diesen Tagen das freie Internet ab, zwingt sie, ihre Firmengeheimnisse auf chinesischen Servern und über chinesische Leitungen zu transportieren - eine Art Leseerlaubnis für die Partei. Und auch die chinesischen Investoren in Deutschland greifen hart durch: Sie beginnen, deutsche Standorte zu verkleinern oder gleich nach China zu verlegen, so wie es gerade beim bayrischen Maschinenbauer KraussMaffei geschieht.

Vom Spionage-Aktivismus Chinas ganz zu schweigen. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat bereits im Winter vor dem 'breit angelegten Versuch der Infiltration insbesondere von Parlamenten, Ministerien und Behörden' gewarnt; von einer 'Unterwanderung der EU', spricht gar das Mercator-Institut für China-Studien. Im Auswärtigen Amt beobachten sie mit wachsendem Entsetzen die Wirtschaftsspionage und Agentenanwerbung. Man habe immer gedacht, China entwickle sich in Richtung Westen - 'das war ziemlich naiv', sagt eine Beamtin. Tatsächlich sei das Gegenteil, die Abwendung vom Westen, der Fall. 'China nimmt massiv Einfluss auf die europäische Politik. Das Land wird für uns zu einem außenpolitischen Problem', sagt eine prominente Stimme der Bundesregierung.

Mittlerweile geben auch Unternehmen mit vorrangig betriebswirtschaftlichen Interessen ihre Zurückhaltung auf: 'Globale Märkte dürfen keine Einbahnstraße sein', sagt etwa Osram-Chef Olaf Berlien. Und Enis Ersü, Vorstandschef des Darmstädter Kameraspezialisten Isra Vision, meint: 'Ich habe immer ein Problem damit, wenn China in Deutschland was kauft, weil wir nicht die gleichen Möglichkeiten dort haben.'

Chinas Einkaufstour - und ihre Folgen

Wenn Top-Manager brisantes China-Material weiterreichen, kann es zu Szenen wie in einem James-Bond-Film kommen. Ihren Namen? 'Den müssen Sie vergessen!' Ihr Unternehmen, die Branche? 'Halten Sie uns da raus!' Der Mann, der so viel Vorsicht walten lässt, ist etwa 50 Jahre alt und arbeitet seit Jahren für einen großen europäischen Industriekonzern. Die Geschäfte laufen gut, auch wegen der vollen Auftragsbücher in China. Daher habe er bisher geschwiegen. Das Unternehmen würde sonst in eine gefährliche Schieflage geraten. Zu groß sei die Abhängigkeit.

Doch zu groß sei inzwischen auch der Leidensdruck. Deshalb will er nun reden, zum ersten Mal, weil er die 'Naivität vieler Manager und Politiker unerträglich' findet - und weil da ein 'ganz großes Problem auf Europa zurollt'. Der Manager schiebt ein 44-seitiges Dossier über den Konferenztisch. Die Broschüre mit dem stilisierten Spinnennetz auf dem Cover trägt den Titel 'Staatlich geförderte Wirtschaftsspionage'. Vor allem Politiker in Paris, Brüssel und Berlin sollen sie lesen. Die wenigsten Sorgen bereiten ihm einzelne Schnüffelaktionen. Viel gefährlicher sei das vor acht Monaten verabschiedete 'Intelligence Law'. Noch sei nicht ganz klar, was Peking damit bezwecke. Möglich aber, dass die Partei künftig chinesisch kontrollierte Unternehmen im Ausland als Brückenköpfe ihrer Spionage einsetze: 'Westliche Unternehmen und Behörden werden dadurch noch verwundbarer.'

Als ob sie das nicht längst wären. Beispiel Aixtron. 2016 wollte das Unternehmen San'an gemeinsam mit einem Fonds namens Fujian Grand Chip (FGC) den Aachener Maschinenbauer schlucken. Doch dann stellte sich - nach einer aufwendigen Entwirrung der Beteiligungsstrukturen - heraus, dass FGC zu 100 Prozent vom chinesischen Staat kontrolliert wird. Am Ende wurde der Verkauf auf Betreiben der US-Behörden untersagt. Beispiel Geely. Der chinesische Autobauer, hat sich nahezu unbemerkt mit zehn Prozent an Daimler beteiligt, obwohl den Regierenden in Berlin bis heute nicht klar ist, wem das Unternehmen gehört. Wirtschafts-Staatssekretär Matthias Machnig (SPD) jedenfalls zeigte sich bei einem Fachgespräch zum Thema im Bundestag ratlos.

Beispiel Kuka. Der chinesische Hausgerätehersteller Midea kaufte 2015 erst fünf Prozent der Aktien und übernahm dann ein Jahr später fast das ganze Unternehmen. Ein Abverkauf deutscher Ingenieurkunst? Kuka stellt immerhin Roboter für die Industrie her. Die Produkte gelten als Schlüsseltechnologie der digital vernetzten Wirtschaft der Zukunft. Für Firmenchef Till Reuter ist die Sache klar: 'Nur wer die Nummer eins ist, kann global bestehen.' Alleine schaffe Kuka das nicht. Also verbünde er sich mit China.

In Berlin sieht man das nicht so entspannt. Die Bundesregierung habe die Brisanz des Themas 'lange Zeit nicht sehen wollen', sagt die Grünen-Abgeordnete Katharina Dröge. Jetzt aber setze sich 'die Erkenntnis, dass da vieles ziemlich falsch läuft', langsam durch. Tatsächlich hat die große Koalition das Außenwirtschaftsgesetz verschärft - sich mehr Spielraum eingeräumt, um unerwünschte Übernahmen durch Ausländer zu verhindern. Eine Systematik ist dabei aber noch nicht erkennbar. Dabei sollten sich Deutschland und Europa, genau wie China, 'klare Regeln geben', in welchen Branchen sie Übernahmen gestatten wollen und in welchen nicht, sagt Frank Stieler, Vorstandsvorsitzender des Maschinenbauers KraussMaffei: Beteiligungen aus China in kritische Infrastruktur sollten untersagt werden.

Der Mann muss es wissen. Vor knapp zwei Jahren hat der staatliche Chemiekonzern ChemChina die Mehrheit an dem Unternehmen - rund 5000 Mitarbeiter, knapp 1,4 Milliarden Euro Umsatz - erworben. Der neue Eigentümer versprach, dem deutschen Management freie Hand zu lassen. Und zerstreute Ängste über den Verlust von Schlüsseltechnologien. Dann aber, nach Übergang und Know-how-Transfer, kündigte ChemChina an, KraussMaffei in eine chinesische Firmenhülle zu kleiden und in Shanghai an die Börse zu führen. Noch hofft Stieler, es werde sich durch die neue Struktur nichts ändern. Das haben ihm die neuen Eigner versprochen. Dennoch ist unklar, wie viel er künftig noch zu sagen hat.

Ähnlich rücksichtslos und konfrontativ sind chinesische Anteilseigner auch bei Osrams früherer Tochter Ledvance oder bei der baden-württembergischen Interstuhl verfahren. Und auch in Deutschlands Großkonzernen wächst die Skepsis. Mehr als 1000 Cyberattacken täglich wehren sie allein bei Siemens in München ab; die gefährlichsten, heißt es, kommen aus China. Roland Busch, Technikvorstand des Konzerns, warnt davor, chinesischen Investoren einen roten Teppich auszurollen. Es stünde nicht nur die Sicherheit der Stromnetze oder der Infrastruktur auf dem Spiel, sondern es gehe 'beispielsweise auch um Router für unsere Telekommunikationsnetze'.

Gemeint ist vor allem der chinesische Netzwerkausrüster Huawei. Der chinesische Marktführer beliefert führend alle drei großen Mobilfunkbetreiber - Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica (O2) - mit Technik für den Datentransport; nirgendwo sonst steuern chinesische Netzausrüster die Knotenpunkte der größten Mobilfunk- und Festnetzinfrastrukturen so stark wie hierzulande. Das Risiko, dass dabei Smartphones angezapft werden und Informationen nach China abfließen, nehmen die deutschen Anbieter damit bewusst in Kauf.

Mit dem neuen, superschnellen 5G-Mobilfunk könnte sich das Problem vergrößern: Entstehen soll ein drahtloses Universalnetz, das der Vernetzung von Industrieanlagen im sogenannten Internet der Dinge dient. Huawei dürfte auch hier mehr Aufträge bekommen als europäische Konkurrenten, würde also noch mehr Datenverkehre kontrollieren. 'Industrielle Anwendungen sind ein lukratives Ziel für Wirtschaftsspionage', sagt der Manager mit dem Geheim-Dossier, und: 'Derlei Sicherheitsrisiken sind nicht länger tolerierbar.'

In China ist der Überwachungsstaat ab April amtlich: Dann will die Partei den freien Datenverkehr für Ausländer abschaffen. Und zwar für immer. Das Internet kontrollieren wollen, spottete einst Bill Clinton, das sei, als wolle man einen Pudding an die Wand nageln? Peking hat es trotzdem geschafft. Das Netz wird vollautomatisch scharf überwacht, was Nachrichten dramatisch verlangsamt. Sie werden systematisch gescannt und gelöscht. Bisher konnten sich ausländische Firmen dem kaum entziehen. Sie konnten aber virtuelle private Netzwerkverbindungen (VPN) einsetzen, Nachrichten verschlüsseln, auf gesperrte Seiten zugreifen - und so Firmengeheimnisse irgendwie an den staatlichen Stellen vorbeischmuggeln.

Bisher. Ab April soll alle Kommunikation der Unternehmen, nach deren Einwilligung in eine staatliche 'Sicherheitsüberprüfung', über chinesische Leitungen und Server erfolgen. Auch in Europa, sagt IT-Sicherheitsexpertin Carly Ramsey aus Shanghai, gebe es derlei Vorschriften - zum Schutz der Netzwerke vor unbefugtem Zugriff. Doch in China wolle man sicher 'auch kontrollieren, was an Informationen durch die Kabel fließt'.

Deutschland hat die neue Netzkontrolle in China zu verhindern versucht. Ohne Erfolg. Das Selbstbewusstsein Pekings ist zunehmend unempfindlich für Kritik. Das politische System sei von sich aus 'der Meinung, alles richtig gemacht zu haben', sagt Hubert Lienhard, Vorsitzender des Asien-Pazifik-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft. Und Konstantin von Notz (Grüne), Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium, das die Arbeit der Geheimdienste überwacht, übt scharfe Kritik: Viel zu lange sei man der Maxime gefolgt, Daten seien das Rohöl des 21. Jahrhunderts und müssten sprudeln. Dabei habe 'das Digitale' eben auch 'eine totalitäre, dunkle Seite'. Das Beispiel China zeige, wie wichtig das Thema Datenschutz sei.

Wie total und global die digitale Gängelung inzwischen ist, zeigt die 'Public Diplomacy' der Volksrepublik, die bestimmen möchte, was in Europa über sie gesprochen und gedacht wird. Entlang der billionenschweren Infrastruktur an der neuen Seidenstraße entstehen Denkfabriken, Stiftungen und Thinktanks mit Stipendienprogrammen für alle, die Chinas Themen-Tabus akzeptieren: Taiwan, Tibet, Menschenrechte.

Die Konfuzius-Institute etwa, die die chinesische Propagandabehörde Hanban in mehr als 100 Ländern weltweit betreibt, sollen 'Sprache und Kultur' Chinas fördern. Allein in Deutschland gibt es 19 Filialen. Von Peking werden sie gerne mit dem Goethe-Institut, dem British Council oder der Académie Française gleichgesetzt. Doch es gibt einen zentralen Unterschied. Während europäische Einrichtungen formal unabhängig sind vom Staat, ist 'Konfuzius' explizit eine Veranstaltung der Partei. Hanban zahlt die Institutsleitung und die Lehrer - und will im Gegenzug mitbestimmen bei Lehrplan und Curriculum.

An der Uni Bonn ist vor nicht mal einem Jahr das jüngste Institut gegründet worden. Drei Räume, eine Teeküche, gleich um die Ecke des Hofgartens. Hier empfängt Katja Yang, groß und schlank, schwarze Haare, blauer Hosenanzug, eine von zwei Direktorinnen des Instituts, Herrin über 200.000 Euro Jahresbudget. Die Angst, dass sie ihre Kurspläne vor Veröffentlichung nach China schicken müsse, sei nicht begründet, wiegelt Yang ab: Hanban habe gar nicht die Kapazität, die Lehrpläne aller 520 Konfuzius-Institute zu prüfen. Aber klar, den Dalai-Lama könne sie nicht einladen. 'Würde ich aber auch nicht', sagt Yang. 'Ist das schon Zensur? Ich glaube nicht.'

Menschenrechtler warnen seit Langem vor einer 'Unterwanderung' der freien Lehre durch die Institute. Ulrich Delius etwa, Leiter der Gesellschaft für bedrohte Völker, hält das Konfuzius-Programm für 'Staatspropaganda'. Es fördere die 'Missachtung der Menschenrechte'. Delius hat sich deshalb schon vor einiger Zeit an die Kultusministerien der Länder gewandt. Mit wenig Erfolg. In Berlin teilte man zwar seine 'Sorge, die chinesische Regierung könnte die Konfuzius-Institute dafür instrumentalisieren, auch für die problematischen Seiten der chinesischen Politik zu werben'. Aber man sah keinen Grund zu handeln. Aus Rheinland-Pfalz hieß es beschwichtigend, die bisherige Zusammenarbeit mit den Instituten lasse 'nicht erkennen, dass es sich hierbei um Übersee-Propaganda handelt'.

Nicht erkennen ist gut. Denn die Chinesen buhlen längst auch um Anerkennung. Anlässlich des 200. Geburtstages von Karl Marx beschenken sie dessen Geburtsstadt mit einer fünfeinhalb Meter hohen Statue des Trierer Volksfreunds: China zahlt für alles, bloß das Fundament muss die Stadt gießen. Während es Rathaus und Baudezernat gar nicht schnell genug gehen konnte mit dem Geschenk - was für eine Attraktion! -, überkamen einige in der Stadt doch Zweifel. 'Für China ist die Statue ein Mosaiksteinchen einer größeren Soft-Power-Politik. Wir machen uns zu deren Handlanger', schimpft Reiner Marz, Grünen-Ratsherr in Trier. Die Stadt hätte sagen sollen: 'Danke für das Angebot, aber wir müssen das Geschenk ablehnen aufgrund der Menschenrechtslage in Ihrem Land.' Man dürfe doch einer Diktatur nicht die künstlerische Auseinandersetzung mit dem berühmtesten Sohn der Stadt überlassen.

Trier ist das eine. Aber wie reagiert Berlin auf die kalte Interessenpolitik Pekings? Man sei sich der 'Einflussnahmen sehr bewusst', heißt es. Aber 'wir tun uns schwer damit, an die Öffentlichkeit zu gehen'. Zu groß ist die Furcht vor einer diplomatischen Krise.

Ein selbstverordneter Maulkorb? Der CDU-Abgeordnete Michael Brand ist Sprecher der Unionsfraktion im Menschenrechtsausschuss. Im Mai 2016 plante er mit dem Ausschuss eine Reise nach Tibet. Brand pflegte zu dieser Zeit Kontakte zu einem Verein, der sich für die Eigenständigkeitsinteressen der Region einsetzt. China war darüber verärgert und stellte Bedingungen für die Reise. Würde er fahren wollen, sollte Brand seine Teilnahme an einer Veranstaltung der Tibet Initiative absagen und Fotos von seiner Website nehmen. Als Brand sich weigerte, bekam er mehrmals Besuch von einem Mitarbeiter der Botschaft, einmal wurde er sogar zum chinesischen Botschafter gebeten. China, sagt Brand, versuche längst, sein autokratisches System auch auf uns in Deutschland auszuweiten. Und gehe dabei immer aggressiver vor. Er selbst unterliegt seit dem Vorfall einem Einreiseverbot.

Der deutsch-europäische Schlingerkurs

Nicht nur er hofft deshalb auf einen deutlicheren Ton gegenüber der Volksrepublik. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) immerhin hat faire Wettbewerbsbedingungen in China zu einer Priorität ihrer vierten Amtszeit erklärt. Und auch in Sachen IT und strategische Investitionen der Volksrepublik in deutsche Konzerne will Berlin jetzt aufrüsten: 'Wir wollen nicht generell Investitionen aus China verbieten. Aber wir wollen eine klare Handhabe bei kritischen Branchen', sagt ein Verantwortlicher im Wirtschaftsministerium.

Bislang sollte die 'klare Handhabe' auf europäischer Ebene erreicht werden: Auf Drängen von Deutschland, Frankreich und Italien hat die EU-Kommission im Herbst einen Vorschlag für einen gemeinsamen Rahmen zur nationalen Überprüfung von Auslandsinvestitionen vorgelegt, das sogenannte Investitionsscreening. Danach können Mitgliedstaaten Prüfungen vornehmen, müssen es aber nicht. Im Vergleich zu dem, was etwa Deutschland ursprünglich vorschwebte, ist das wenig: 'Alle waren sich einig, dass wir im Umgang mit China nicht naiv sein dürfen', sagt einer im Rückblick auf die ersten Debatten im Sommer 2017.

Doch offenbar versteht jeder Mitgliedstaat etwas anderes darunter - und inzwischen ist unklar, ob das Gesetz jemals Realität wird. Der Bundesverband der deutschen Industrie ist skeptisch: 'Wir haben um den Schutz nicht gebeten.' Irland fürchtet, dass Investoren künftig einen Bogen um Europa machen könnten. Und vor allem Ungarn und Griechenland scheinen sich Chinas wachsenden Einfluss nur zu gerne gefallen zu lassen: 'Es steht zu befürchten, dass chinesische Investitionen in Athen nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Abhängigkeiten schaffen', sagt Jo Leinen (SDP), Vorsitzender der Delegation für die Beziehungen zu China im Europäischen Parlament.

Die Lage ist ernst: Im vergangenen Juni weigerte sich Griechenland, eine EU-Stellungnahme zu Menschenrechtsverletzungen in China im UN-Menschenrechtsrat zu unterstützen - wohl auch, weil die Chinesen hinter den Kulissen ordentlich Druck machten. Auch in anderen osteuropäischen Ländern ist man längst nicht mehr bereit, China vor den Kopf zu stoßen. Mehr als drei Milliarden Euro sagte China im vergangenen Jahr den 16 Staaten des ehemaligen Ostblocks für Infrastrukturfinanzierung zu, zwei davon sollen über die staatliche China Development Bank fließen.

Das Ergebnis: Europa ist in Sachen China derzeit so heterogen, wie nie zuvor. Zwar gibt es seit einigen Monaten eine gemeinsame EU-China-Strategie, ein Papier, in dem sehr oft das Wort 'Reziprozität' vorkommt - also die wirtschaftliche Gleichbehandlung von chinesischen und europäischen Unternehmen. Doch der Minimalkonsens der 27 Mitgliedsländer sei 'noch so ein Papier, das mehr Verfasser hat, als es Leser haben wird', ätzt ein Ministerialer in Berlin.

Nun rächt sich, dass Deutschland, dessen Exportweltmeisterschaft und fortgesetztes Wirtschaftswunder erst durch Chinas Boom möglich wurden, es versäumte, eine kritischere Politik gegenüber der Volksrepublik in Europa durchzusetzen. Sollte sich daran nichts ändern, wird die Volksrepublik wohl weiter ihren Markt abschotten und europäische Technologie abgreifen. 'Wenn es uns nicht gelingt, eine eigene Strategie mit Blick auf China zu entwickeln', sagte Sigmar Gabriel (SPD) Ende vergangenen Jahres bei einem seiner letzten Auftritte als Außenminister, 'dann wird es China gelingen, Europa zu spalten.' Es war eine Kampfansage an China. Und im Auswärtigen Amt nahmen sie erstaunt zur Kenntnis, dass Peking sich erstmals von diesem klaren Ton beeindrucken ließ.

'Noch will sich China zumindest offiziell an die in Davos erklärten Ziele der offenen Märkte, der Globalisierung und des Freihandels halten', sagt Yuan Ding, Professor an der China European International Business School in Shanghai: 'Die Europäische Union sollte China nun an dieses Versprechen erinnern.'

Peking, so muss die unmissverständliche Botschaft lauten, ist herzlich eingeladen zu einem freien, fairen Wettbewerb der Ideen - aber nicht zu einem Wettlauf des Täuschens, Tarnens und Tricksens. 'China spielt in der Welt Monopoly', sagt die Grünen-Handelsexpertin Katharina Dröge, 'es ist Zeit, dass die EU endlich faire Spielregeln für die Globalisierung durchsetzt.' Am Ende ist es wohl so einfach: Chinas Xi Jinping hat einen Plan. Europas Regierungschefs haben keinen. Und das ist ein Problem.

Co-Autoren: Simon Book, Melanie Bergermann, Lea Deuber, Konrad Fischer, Matthias Kamp, Silke Wettach

 

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